top of page
  • AutorenbildStefan Truthän

Pandemie - Explorer

Aktualisiert: 10. Apr. 2021

Für die Sonderfläche "Megatrends" in Halle 16 auf der Interschutz 2020 hatten wir im Februar 2019 eine kühne Idee: Wie können wir die unbemerkte exponentielle Ausbreitung eines Virus mit enormer Geschwindigkeit auf kleinem Raum simulieren und für unsere Besucher erlebbar machen?

Mit anonymen Bewegungsdaten auf der Oberfläche, parametrierbaren Erregern, einem ausgewählten Patienten 0 und einer abschließenden Visualisierung. Nach ein paar groben PoCs (Proof of Concepts) bekamen wir ein Gefühl für die Machbarkeit und legten den Umfang fest. Und begannen zu entwickeln. Wir ahnten nicht, dass unser Experiment sehr bald Realität werden würde.


Die erste Herausforderung besteht darin, ein wirklich anonymes Bewegungsprofil zu erfassen. Aktuelle Ansätze (z. B. in der Corona-App) setzen auf installierte Apps, die über eine von Google und Apple neu entwickelte Bluetooth-API Daten zur Kontaktverfolgung austauschen. Das ist in Bezug auf die Nutzerzahlen und den zu überwachenden Bereich durchaus sinnvoll. Unsere Anwendung ist jedoch von der Fläche her viel überschaubarer - und war etwas zu früh dran, um von der technischen Entwicklung zu profitieren.


Um die Bewegungsdaten auf der Sonderfläche anonymisiert erfassen zu können, haben wir unsere Fläche zunächst in Quadranten eingeteilt.


Abbildung 1: Grundriss mit Rasterapproximation

In (fast) jedem Quadranten ist ein Raspberry Pi versteckt, und jeder dieser Mikrocomputer führt in regelmäßigen Abständen einen BLE-Scan durch. Die dabei erfassten BLE-Ids und Signalstärken werden vorsortiert, anonymisiert und lokal aggregiert: So erhalten wir zum einen eine Baseline für die Signalqualität in der Fläche von unseren eigenen stationären Geräten, zum anderen können Besucher, die unser Testgebiet verlassen oder sich nur kurz streifen, wieder aussortiert werden.

Abbildung 2: Aufzeichnung der Bewegungsdaten


In regelmäßigen Abständen werden die Daten weiter aggregiert und geglättet und an unseren Nachrichtenbus im Backend übertragen. Die übertragene Datenmenge wird vor der Übertragung deutlich reduziert, so dass ein handelsüblicher PC auf der Anzeigefläche für die weitere Verarbeitung und Darstellung genutzt werden kann. Zu Beginn sprachen vor allem zwei Punkte gegen einen Cloud-Einsatz: die generell schlechte Internetanbindung auf Messen und die schiere Menge der versendeten Nachrichten. Mittlerweile konnten wir zumindest den letzten Punkt wegoptimieren, das Nachrichtenvolumen wurde massiv reduziert und kommt vor allem mit einer hohen Anzahl an gesammelten Datenpunkten aus. Lediglich die Qualität des Uplinks spricht gegen eine theoretische Nutzung der Cloud, wir setzen aber weiterhin auf die "on-premise"-Nutzung.

Unser Backend besteht aus einem Message-Bus, einer ASP.NET-Core-Komponente (Blazor) und einer Datenbank zur Durchsicht der Streuung und Speicherung der Zeitreihen. Sobald eine Simulation läuft, werden die zeitabhängigen Datenpunkte räumlich auf der Oberfläche verortet. Leider ist die Signalstärke der Datenpunkte stark vom aktuellen Betrieb auf der Oberfläche abhängig, so dass eine Kalibrierung notwendig ist. Hier kommen unsere eigenen Raspberry Pies zur Hilfe, da wir deren Entfernung und Tx-Stärke kennen und damit eine ungefähre Basislinie für die Signalstärke berechnen können. Die Ortung findet dann im Meterbereich statt und ist somit für unsere Zwecke mehr als ausreichend. Es ist erwähnenswert, dass wir zum weiteren Schutz der Privatsphäre der Besucher nicht mit Echtzeitdaten arbeiten, sondern für unsere Simulation nur Zeitreihen verwenden, die älter als 10 Minuten sind.


Abbildung 3: Komponenten der Architektur

Zu Beginn der Simulation wird ein Teilnehmer zu Patient Null. Wir haben geplant, die Teilnehmer mit einem speziell registrierten BLE-Beacon auszustatten - da es durch die Anonymisierung nicht mehr möglich ist, einem Teilnehmer eine bestimmte BLE-Id auf der Sonderfläche zuzuordnen.

Abbildung 4: Start der Simulation mit Patient Null

Zusätzlich werden bestimmte Parameter des Pandemieerregers eingestellt: Übertragungsdistanz, Inkubationszeit, Übertragungszeit und Zeit bis zur Genesung - wobei wir in unserem Fall großzügig annehmen, dass eine Genesung auch einer Immunisierung entspricht.

Abbildung 5: Konfigurieren Sie den Virus

Abbildung 6: Patient Null läuft los und startet die Infektion

Der Teilnehmer bewegt sich nun frei durch den Ausstellungsraum, nimmt an weiteren Experimenten teil, führt Gespräche mit anderen Besuchern oder Ausstellern und kehrt dann zurück. Die Aufzeichnung stoppt - und unser Pandemie-Explorer beginnt zu arbeiten. Die aktuelle Zeitreihe von Patient Null sowie historische Zeitreihen von Besuchern werden gemischt und als Grundlage für die Simulation der Ausbreitung verwendet. Gemeinsam mit dem Teilnehmer (Patient Null) besprechen wir die Visualisierung der Ausbreitung, bevor die gesamte Simulation zurückgesetzt wird. Die ursprüngliche Idee der Gamification der Ausbreitung wurde jedoch später - angesichts der Tragödie der COVID-19-Pandemie - fallen gelassen.

Abbildung 7: Die Infektion breitet sich aus

Abbildung 8: Die Infektion wird durch die Super-Spreader verbreitet


1 Ansicht0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page